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Wolfgang: Vom Erkiesen und Fryheit der Spysen

Wolfgang ThielmannLiebe drei,

ist Fasten gesund? Das wissen nicht einmal die Kollegen von Men’s Health, und wenn die es nicht wissen, dann kann es nicht gesund sein. Mit Abnehmen wird es auch nichts. Eine Woche vegetarische Ernährung lässt mich Mengen vertilgen, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Eigentlich sagt die katholische Fastentradition, dass man eine Hauptmahlzeit und zwei kleinere pro Tag zu sich nehmen sollte. Ich wüsste nicht, wie ich das einhalten könnte. Wahrscheinlich braucht das richtige Vorbereitung.

Und dann noch die kleinen Versuchungen. In der vergangenen Woche hatte ich zwei Tagungen zu absolvieren, beide in kirchlichen Einrichtungen. Durch die Hinreise dachte ich nicht ans Essen. Die Tagungsleiterin hatte Teilchen mitgebracht, damit niemand hungert. Wie freundlich. Ich sprach meine Nachbarin auf die Fastenzeit an. „Ach, sagte sie“, die hält doch sowieso keiner ein.“ „Ich bin gerade dabei“, sagte ich und erntete einen mitleidig-ironischen Blick. Am nächsten Tag waren wir im Erzbischöflichen Generalvikariat zu Gast. Bei Wasser, Kaffee – und Plätzchen. Auch da kann es sein, dass einer der Einladenden ein bisschen Beköstigung mitgebracht hat; ich habe nicht gefragt. Kirchliche Häuser, finde ich, könnten auf Wunsch Fastenverpflegung anbieten. Beide Male blieb ich standhaft. Und kam hungrig zu Hause an.

Was heißt „hungrig“: Richtig gehungert habe ich nur einmal im Leben, auf dem Land in Kambodscha und Vietnam. Einen Tag lang wusste ich nicht genau, wann ich das nächste Mal würde essen können. Aber meine Gruppe fuhr nach Saigon, deshalb musste ich mir endgültig keine Sorgen machen. Im Vorbeifahren sah ich Menschen vor leeren Reisspeichern sitzen, ohne die Aussicht, die ich hatte. Seitdem höre ich es mit anderen Ohren, wenn es heißt, dass Menschen unter einer Hungersnot leiden. Es muss furchtbar sein, auch wenn das Hungergefühl nachlässt.

Als ich vor den süßen Sachen aufstand, ohne davon genommen zu haben, spürte ich einen euphorischen Moment. Ich hatte durchgehalten, weil ich wollte. Ein Freiheitsgewinn. Und ich beginne, mich auf das Fastenbrechen am Wochenende und schließlich zu Ostern zu freuen. Auf den Genuss. Und zugleich spüre ich, dass die Freiheit Übung braucht, dass die Wochen des Fastens für mich einen Sinn ergeben.

Dabei ging mir der Schweizer Reformator Huldrych Zwingli durch den Kopf. Der veranstaltete das Gegenprogramm. Er begann die Reformation in Zürich mit einem öffentlichen Wurstessen zum Beginn der Fastenzeit. Zwei Wochen später ließ er ein Buch folgen: „Von Erkiesen und Fryheit der Spysen“. Darin hat er die Grundsätze festgehalten, die beim Wurstessen nicht so eindeutig erkennbar waren. Auf die sind auch Sie in den letzten Tagen gekommen. Zwingli ist gar nicht gegen das Fasten, sondern nur dagegen, dass man andere dazu verpflichtet. Und dass man ihnen sagt, Fasten sei nötig, um das Heil zu erlangen. Er argumentiert dagegen, dass Christus die Menschen von Reinheits- und Speisevorschriften befreit hat. Christus habe ihnen die Freiheit gegeben, ihr Leben nach seinen Maßstäben zu gestalten, ohne dass daraus Vorschriften für alle werden. Zwinglis Schrift ist ein Manifest der Freiheit. Hier kommt ein Abschnitt, aus dem Schwizerdütsch des 16. Jahrhunderts in heutige Sprache übersetzt: „Willst du gerne fasten, dann tue es. Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch. Lass mir aber dabei dem Christen die freie Wahl. Doch wenn dein Nächster daran Anstoß nimmt, wenn du von deiner Freiheit Gebrauch machst, dann sollst du ihn nicht grundlos in Schwierigkeiten oder Versuchung bringen. Nur wenn er den Grund deiner Freiheit erkennt, wird er nicht mehr daran Anstoß nehmen, es sei denn, er wolle dir vorsätzlich übel. Vielmehr sollst du deinem Nächsten in freundlicher Weise den Glauben erklären und ihm sagen, dass auch er alles essen dürfe und er darin frei sei.“

Freiheit wird unser großes Thema. Allerdings spiegelverkehrt wie bei Huldrych Zwingli. Der wehrte sich gegen die religiöse Vorschrift. Wir stehen davor, dass Leute mit der religiösen Übung nichts mehr anfangen können. Und uns damit aufziehen.

Freiheit – den Trott überwinden, Gewohnheiten neu entwickeln. Freiheit braucht Form und Balance. Alltag und Routine fressen sie an. „Zur Freiheit hat euch Christus befreit“, sagt Paulus im Brief an die Galater. „So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“ Wie kann, wie wird das für uns aussehen?

Datum

0 30.03.2014 | 14:41

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