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Wolfgang: Finde das richtige Maß!

Wolfgang Thielmann

Lieber Klaus Dahmann,

mit dem Vegetarismus machen Sie ein Fass auf. Wofür Jesus schon vereinnahmt wurde! Und mit welchen Argumenten! Vor Jahren las ich in einer Vegetarier-Zeitschrift zum Christfest, Jesus zeige als Weihnachtsmann den richtigen Weg – denn: „es roch so nach Äpfeln und Nüssen“. Der Autor verwechselte das Neue Testament mit einem Gedicht der „Gartenlaube“-Autorin Anna Ritter.

Jesus hat gefastet. Aber er hat auch oft gefeiert und musste sich von den Frommen seiner Zeit vorwerfen lassen, er sein ein Fresser und Säufer. Sein erstes Wunder bestand darin, dass er auf der Hochzeit in Kana Wasser in Wein verwandelte. Er lud sich bei dem anrüchigen Zöllner Zachäus ein und feierte ein Fest. Sind in einer Gesellschaft von Bauern und Hirten fleischlose Feste vorstellbar? Im Johannesevangelium erklärt Jesus den Kern seiner Botschaft so: „Mein Fleisch ist die wahre Speise und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt der bleibt in mir und ich in ihm.“ Kann ein Vegetarier seine Lehre so auf den Punkt bringen?

Aber im frühen Christentum wurde Vegetarismus ein Megathema. Für manche Theologen der ersten Jahrhunderte wie Markion und Hieronymus aß der wahre Christ Kohl und Körner. Nur Glaubensschwache brauchten Gebratenes. Innerhalb und außerhalb des Christentums diskutierten Philosophen, ob man Tiere essen darf, die eine Seele haben. Aber die Synode von Ankyra im Jahr 314, die erste nach einer langen Periode der Christenverfolgung,  entschied: Vegetarismus ist eine Irrlehre. Doch plädierten die Lehrer der frühen Christenheit für Mäßigung. Bischof Gregor von Nyssa, dem heutigen türkischen Nevşehir,  warnte Heranwachsende vor zu viel Alkohol. Aber Fleisch in Maßen verteidigte er. In seinem Buch „Die Erschaffung des Menschen“ meinte er, bei der Schöpfung habe Gott dem Menschen die Tiere zur Ernährung gegeben. Und man könne die Tierseele kaum Seele nennen, denn ihre sinnliche Wahrnehmung liege nah bei der der Pflanzen. Nahrung, sagte Gregor, soll den Menschen stark machen. Genuss im Übermaß schwäche ihn aber bloß und fordere ihren Preis.

Zum Fasten übrigens gehörten für ihn Wasser, Gemüse und ein „unblutiger Tisch“. Das Ziel des Fastens lag nach Gregors Ansicht in der geistigen Reinheit. Deshalb sollten Fastende, was sie an Nahrung sparten, den Armen zukommen lassen. (Und deshalb behandelte er das Fasten in einem Brief über die Liebe zu den Armen.)

Die Frage nach dem Vegetarismus und dem Maß führen mitten in die Ethik. Und zum Slogan der evangelischen Fastenaktion, „Selber denken!“. Er erinnert an eine protestantische Tradition: Der einzelne soll in der Auseinandersetzung mit der Bibel zu einem geschulten Gewissen und einer begründeten Entscheidung kommen. Die katholische Kirche legt sich auf eine Lehre fest und erwartet vom einzelnen, dass er sich einfügt. Weil viele Entscheidungen und Vorbilder vorgegeben sind, erweckt der Katholizismus einen geschlosseneren Eindruck. Im richtigen Leben unterscheiden sich beide gar nicht so sehr. Denn tatsächlich übernehmen auch Katholiken nur solche Entscheidungen, die sie für sich begründen können. Und tatsächlich haben auch Protestanten Vorbilder und Riten.

Wo liegt das richtige Maß? Wo liegt es in Zeiten der industriellen Tierproduktion? Gerade hat der hannoversche Bischof Ralf Meister gegen die Verbilligung des Fleischs bei großen Discountern protestiert, weil sie die Existenz von Landwirten bedroht.  Ich erinnerte mich dabei an die Tiere auf dem Bauernhof meiner Großeltern. Auch da wurde jedes Fest mit selbst Geschlachtetem gefeiert. Aber wer im Alltag seinen Zorn an den Kühen ausließ, dem redeten die Männer des Dorfs ins Gewissen. Und den Moment des Schlachtens erlebten nur der Metzger und seine Helfer. Schlachten war unvermeidlich, aber nichts zum Zuschauen. So viel Würde hatte auch das Tier. Die Achtung vor der Schöpfung gibt den Maßstab ab.

Bei meinem bevorstehenden Fest hat meine Frau darauf geachtet, dass das Fleisch von freilaufenden Tieren stammt. Aber da nicht die Feste das Problem sind, sondern der Alltag: Ein Freund und seine Familie kaufen ihre Lebensmittel beim Händler im Ort und grundsätzlich nicht im Supermarkt. In beiden Haushalten wird wenig Fleisch gegessen, aber wenn, dann gutes von Tieren, die artgerecht auf Weiden und Wiesen gehalten wurden. Ich finde es wichtig, dass wir Maßstäbe für unseren Konsum gewinnen und konsequent danach handeln, wie immer unsere Entscheidung ausfällt. Und Maßhalten im Alltag ist eine zeitlos gute Lebensregel. Allein schon, weil sie die Feste schöner macht.

Datum

0 12.03.2014 | 15:38

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