Versuchung – ohne https://blogs.dw.com/ohne Fasten - drei DW-Reporter im Selbstversuch Tue, 29 Apr 2014 14:57:54 +0000 de-DE hourly 1 Wolfgang: Vom Erkiesen und Fryheit der Spysen https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/30/wolfgang-vom-erkiesen-und-fryheit-der-spysen/ https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/30/wolfgang-vom-erkiesen-und-fryheit-der-spysen/#comments Sun, 30 Mar 2014 14:41:27 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=641 Wolfgang ThielmannLiebe drei,

ist Fasten gesund? Das wissen nicht einmal die Kollegen von Men’s Health, und wenn die es nicht wissen, dann kann es nicht gesund sein. Mit Abnehmen wird es auch nichts. Eine Woche vegetarische Ernährung lässt mich Mengen vertilgen, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Eigentlich sagt die katholische Fastentradition, dass man eine Hauptmahlzeit und zwei kleinere pro Tag zu sich nehmen sollte. Ich wüsste nicht, wie ich das einhalten könnte. Wahrscheinlich braucht das richtige Vorbereitung.

Und dann noch die kleinen Versuchungen. In der vergangenen Woche hatte ich zwei Tagungen zu absolvieren, beide in kirchlichen Einrichtungen. Durch die Hinreise dachte ich nicht ans Essen. Die Tagungsleiterin hatte Teilchen mitgebracht, damit niemand hungert. Wie freundlich. Ich sprach meine Nachbarin auf die Fastenzeit an. „Ach, sagte sie“, die hält doch sowieso keiner ein.“ „Ich bin gerade dabei“, sagte ich und erntete einen mitleidig-ironischen Blick. Am nächsten Tag waren wir im Erzbischöflichen Generalvikariat zu Gast. Bei Wasser, Kaffee – und Plätzchen. Auch da kann es sein, dass einer der Einladenden ein bisschen Beköstigung mitgebracht hat; ich habe nicht gefragt. Kirchliche Häuser, finde ich, könnten auf Wunsch Fastenverpflegung anbieten. Beide Male blieb ich standhaft. Und kam hungrig zu Hause an.

Was heißt „hungrig“: Richtig gehungert habe ich nur einmal im Leben, auf dem Land in Kambodscha und Vietnam. Einen Tag lang wusste ich nicht genau, wann ich das nächste Mal würde essen können. Aber meine Gruppe fuhr nach Saigon, deshalb musste ich mir endgültig keine Sorgen machen. Im Vorbeifahren sah ich Menschen vor leeren Reisspeichern sitzen, ohne die Aussicht, die ich hatte. Seitdem höre ich es mit anderen Ohren, wenn es heißt, dass Menschen unter einer Hungersnot leiden. Es muss furchtbar sein, auch wenn das Hungergefühl nachlässt.

Als ich vor den süßen Sachen aufstand, ohne davon genommen zu haben, spürte ich einen euphorischen Moment. Ich hatte durchgehalten, weil ich wollte. Ein Freiheitsgewinn. Und ich beginne, mich auf das Fastenbrechen am Wochenende und schließlich zu Ostern zu freuen. Auf den Genuss. Und zugleich spüre ich, dass die Freiheit Übung braucht, dass die Wochen des Fastens für mich einen Sinn ergeben.

Dabei ging mir der Schweizer Reformator Huldrych Zwingli durch den Kopf. Der veranstaltete das Gegenprogramm. Er begann die Reformation in Zürich mit einem öffentlichen Wurstessen zum Beginn der Fastenzeit. Zwei Wochen später ließ er ein Buch folgen: „Von Erkiesen und Fryheit der Spysen“. Darin hat er die Grundsätze festgehalten, die beim Wurstessen nicht so eindeutig erkennbar waren. Auf die sind auch Sie in den letzten Tagen gekommen. Zwingli ist gar nicht gegen das Fasten, sondern nur dagegen, dass man andere dazu verpflichtet. Und dass man ihnen sagt, Fasten sei nötig, um das Heil zu erlangen. Er argumentiert dagegen, dass Christus die Menschen von Reinheits- und Speisevorschriften befreit hat. Christus habe ihnen die Freiheit gegeben, ihr Leben nach seinen Maßstäben zu gestalten, ohne dass daraus Vorschriften für alle werden. Zwinglis Schrift ist ein Manifest der Freiheit. Hier kommt ein Abschnitt, aus dem Schwizerdütsch des 16. Jahrhunderts in heutige Sprache übersetzt: „Willst du gerne fasten, dann tue es. Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch. Lass mir aber dabei dem Christen die freie Wahl. Doch wenn dein Nächster daran Anstoß nimmt, wenn du von deiner Freiheit Gebrauch machst, dann sollst du ihn nicht grundlos in Schwierigkeiten oder Versuchung bringen. Nur wenn er den Grund deiner Freiheit erkennt, wird er nicht mehr daran Anstoß nehmen, es sei denn, er wolle dir vorsätzlich übel. Vielmehr sollst du deinem Nächsten in freundlicher Weise den Glauben erklären und ihm sagen, dass auch er alles essen dürfe und er darin frei sei.“

Freiheit wird unser großes Thema. Allerdings spiegelverkehrt wie bei Huldrych Zwingli. Der wehrte sich gegen die religiöse Vorschrift. Wir stehen davor, dass Leute mit der religiösen Übung nichts mehr anfangen können. Und uns damit aufziehen.

Freiheit – den Trott überwinden, Gewohnheiten neu entwickeln. Freiheit braucht Form und Balance. Alltag und Routine fressen sie an. „Zur Freiheit hat euch Christus befreit“, sagt Paulus im Brief an die Galater. „So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“ Wie kann, wie wird das für uns aussehen?

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Klaus: „Abstinentiam indic et labora!“ https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/25/klaus-abstinentiam-indic-et-labora/ Tue, 25 Mar 2014 13:53:53 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=573 KlausDas ist jetzt keine meiner berüchtigten biblischen Keulen, hätte aber durchaus das Zeug dazu: „Übe Abstinenz und arbeite!“ So viel zu Astrids letztem Blog-Eintrag „Genuss ohne Reue“. Während sie an ihrem fastenbefreiten Sonntag pürierte Limonen in hochprozentigem Cachaça ertränkte, hielt ich tapfer an meinem Zucker-, Koffein- und Fleischverzicht fest und versenkte nur Forsythien in nährstoffreichem Humus.

Sicher keine Sonntagsaktivität nach alttestamentarischem Vorbild – hätte mich eher im Liegestuhl fläzen sollen, wie es sich am siebten Tag der Schöpfung geziemt. Aber ich hinkte eben dem Zeitplan hinterher: Mein Schöpfungsprozess war nach sechs Tagen noch nicht abgeschlossen.

Klar ist Gartenarbeit ein Ablenkungsmanöver, um nicht in Versuchung zu geraten. Wenn auch ein ziemlich schlechtes: Danach stehe ich mit noch lauter knurrendem Magen vor dem Kühlschrank.

Aber jetzt Fastenpausen einlegen? Mögen sie auch theologischen Segen haben – ich widerstehe der Versuchung! Rezepte wie Poulardenbrust in Mokka-Honig-Soße spare ich mir für die Zeit nach Ostern auf.

Bis dahin lauern die Versuchungen an jeder Straßenecke – oder auch an der eigenen Haustüre, wie Wolfgang so eindrücklich beschreibt. Was wiegt mehr: das eigene Fastenversprechen oder die Gastfreundschaft? In deinem Fall, lieber Wolfgang: Darf man einen aus Herzlichkeit angebotenen Keks ablehnen? Und ist es einem guten Freund zuzumuten, mit seinem Weinglas ein Wasserglas zu beprosten?

Ich höre schon den Radikalfaster in mir rufen: „Na, klar!“ Aber eigentlich muss man doch unterscheiden, ob dem Fastenbruch pure Genusssucht zugrunde liegt oder nicht. Sprich: Dient Gastfreundschaft als Ausrede? Dagegen spricht schon die Tatsache, dass dir, Wolfang, gleich die Hexameter und Pentameter Dietrich Bonhoeffers in den Sinn kamen, die deine Gedanken mit der Wucht von Glockenschlägen durcheinander wirbelten. Und dich wieder auf den Weg zur Freiheit brachten.

Und mich bald wieder auf den Weg in den Garten. Denn mein Schöpfungsprozess ist auch heute noch nicht abgeschlossen. Nach Feierabend rasselt der Rasenmäher mit den Klingen. Der Liegestuhl muss warten.

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Klaus: Und überall wedelt der Wurstzipfel… https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/09/klaus-und-ueberall-wedelt-der-wurstzipfel/ Sun, 09 Mar 2014 20:15:16 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=311 KlausIch schaff’s. Sag ich mir jeden Tag. Und dann ist Sonntag. Und mir säuselt die Idee durchs Ohr, dass ja heute nach katholischer Lesart gar nicht gefastet werden muss. Oh nein! Wolfgang ist ja sehr nett, Astrid und mir diese Hintertür zu weisen, nebst theologisch wasserdichter Argumentation! Aber ich will durchhalten, ich halte durch, ich schaff’s. Mein Mantra der Woche.

Kein Fleisch, keinen Kaffee, keinen Zucker – den kalten Entzug habe ich hinter mir. Glaub ich. Nun sind es die täglichen, stündlichen, minütlichen kleinen Versuchungen, die mir zu schaffen machen.

Schon wenn ich das Frühstück vorbereite: Direkt über dem Wasserkocher steht das Kaffeepulver, daneben der Zucker, darunter die Marmelade. Vor meinem geistigen Auge streiche ich alles, was ich nicht esse, mit einem dicken roten Filzstift durch. Bald gleicht das Durchqueren der Küche einem Hürdenlauf über zahllose rote Balken.

Fleisch, Kaffee, Zucker – ich hab mir eine Kombination ausgesucht, die man nicht einfach durch innerliches Ringen wegbesiegen und dann schön verdrängen kann. Für mich wedeln die Wurstzipfel ubiquitär.

Am schlimmsten sind nach wie vor die wohlmeinenden Rücksichtnehmer. Damit meine ich jetzt nicht Wolfgang. Sondern beispielsweise meine Frau: Ob ich nicht koffeinfreien Kaffee trinken könnte, fragte sie mich heute. „Nein“, knurrte ich zurück. Womöglich stellt sich noch der Placebo-Effekt ein – und ich werde plötzlich wach und gut gelaunt?

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