Freiheit – ohne https://blogs.dw.com/ohne Fasten - drei DW-Reporter im Selbstversuch Tue, 29 Apr 2014 14:57:54 +0000 de-DE hourly 1 Wolfgang: In der Freiheit bestehen https://blogs.dw.com/ohne/2014/04/19/wolfgang-in-der-freiheit-bestehen/ Sat, 19 Apr 2014 13:11:43 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=863 Wolfgang ThielmannLiebe drei,

 unser gemeinsamer Weg geht dem Ziel entgegen. Am Abend des Karsamstags liegt traditionell das Ende der Fastenzeit, wenn Jesus nach alter Tradition in der Hölle seinen Sieg verkündet hat und der Abend vor dem Ostermorgen anbricht. Dann wirft die Freude über die Auferstehung ihr Licht voraus (vom Schatten zu reden wäre wirklich unangebracht …).

Ich selber beende das Fasten, ähnlich wie Klaus, am Ostersonntag mit dem Gottesdienst um fünf Uhr früh und einem Frühstück in der Kirchengemeinde. Und ich freue mich darauf. Die letzten Tage ohne Fleisch, ohne Wein und Süßes sind mir noch einmal schwer gefallen. Eigenartig. Ich habe auch diese letzte Phase gebraucht.

Nein, Stefan, in der Tat: Wir sind keine neuen Menschen geworden. Im Neuen Testament werden die Christen in Ephesus aufgefordert, als es um das Neuwerden in Christus heißt: „Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.“ Da schwingt etwas mit, was auch in Ihren Resümees zum Ausdruck kam. Wir bleiben wir selbst. Aber wir werden neu eingekleidet. Martin Luther hat es in die dialektische Formel gebracht, der Mensch sein „gerecht und Sünder zugleich“. Bei sich selbst Sünder, bei Gott gerecht. Aber weil wir bei Gott gerecht sind, können wir den neuen Menschen anziehen. Wir können uns entscheiden. Darin liegt unsere Freiheit. Und unsere Berufung. „Ich glaube“, hat Dietrich Bonhoeffer formuliert, „dass Gott kein zeitloses Faktum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“ Das, unser Handeln und das Warten wie auch die Antwort Gottes, lässt uns in unserem Leben Sinn erkennen. Astrid will gute Nachrichten entdecken. Gute Nachricht heißt auf Griechisch, der Grundsprache des Neuen Testaments: Evangelium.

Dietrich Bonhoeffer möchte ich auch ans Ziel des Weges stellen. Auf dem Weg begleitete uns die erste Strophe des Gedichts aus der Haft im Jahr 1944 „Stationen auf dem Weg der Freiheit“. Es ging darum, sich zu beherrschen und Nein zu sagen. Stefan half es, dass wir an seiner Seite standen. Freiheit, die für andere verlässlich bleibt, umfasst auch den Verzicht.

Doch jetzt folgt der nächste Schritt: Lerne handeln. Deshalb habe ich angeregt, ein Resümee zu ziehen. Mit der zweiten Strophe des Gedichts geht unser Weg weiter. Und das Jauchzen am Schluss werden wir gemeinsam ausprobieren, wenn wir das Fastenbrechen miteinander feiern:

 

Tat

Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen,

nicht im Möglichen schweben, sondern das Wirkliche tapfer ergreifen,

nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.

Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens

nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen,

und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.

 

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Wolfgang: Vom Erkiesen und Fryheit der Spysen https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/30/wolfgang-vom-erkiesen-und-fryheit-der-spysen/ https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/30/wolfgang-vom-erkiesen-und-fryheit-der-spysen/#comments Sun, 30 Mar 2014 14:41:27 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=641 Wolfgang ThielmannLiebe drei,

ist Fasten gesund? Das wissen nicht einmal die Kollegen von Men’s Health, und wenn die es nicht wissen, dann kann es nicht gesund sein. Mit Abnehmen wird es auch nichts. Eine Woche vegetarische Ernährung lässt mich Mengen vertilgen, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Eigentlich sagt die katholische Fastentradition, dass man eine Hauptmahlzeit und zwei kleinere pro Tag zu sich nehmen sollte. Ich wüsste nicht, wie ich das einhalten könnte. Wahrscheinlich braucht das richtige Vorbereitung.

Und dann noch die kleinen Versuchungen. In der vergangenen Woche hatte ich zwei Tagungen zu absolvieren, beide in kirchlichen Einrichtungen. Durch die Hinreise dachte ich nicht ans Essen. Die Tagungsleiterin hatte Teilchen mitgebracht, damit niemand hungert. Wie freundlich. Ich sprach meine Nachbarin auf die Fastenzeit an. „Ach, sagte sie“, die hält doch sowieso keiner ein.“ „Ich bin gerade dabei“, sagte ich und erntete einen mitleidig-ironischen Blick. Am nächsten Tag waren wir im Erzbischöflichen Generalvikariat zu Gast. Bei Wasser, Kaffee – und Plätzchen. Auch da kann es sein, dass einer der Einladenden ein bisschen Beköstigung mitgebracht hat; ich habe nicht gefragt. Kirchliche Häuser, finde ich, könnten auf Wunsch Fastenverpflegung anbieten. Beide Male blieb ich standhaft. Und kam hungrig zu Hause an.

Was heißt „hungrig“: Richtig gehungert habe ich nur einmal im Leben, auf dem Land in Kambodscha und Vietnam. Einen Tag lang wusste ich nicht genau, wann ich das nächste Mal würde essen können. Aber meine Gruppe fuhr nach Saigon, deshalb musste ich mir endgültig keine Sorgen machen. Im Vorbeifahren sah ich Menschen vor leeren Reisspeichern sitzen, ohne die Aussicht, die ich hatte. Seitdem höre ich es mit anderen Ohren, wenn es heißt, dass Menschen unter einer Hungersnot leiden. Es muss furchtbar sein, auch wenn das Hungergefühl nachlässt.

Als ich vor den süßen Sachen aufstand, ohne davon genommen zu haben, spürte ich einen euphorischen Moment. Ich hatte durchgehalten, weil ich wollte. Ein Freiheitsgewinn. Und ich beginne, mich auf das Fastenbrechen am Wochenende und schließlich zu Ostern zu freuen. Auf den Genuss. Und zugleich spüre ich, dass die Freiheit Übung braucht, dass die Wochen des Fastens für mich einen Sinn ergeben.

Dabei ging mir der Schweizer Reformator Huldrych Zwingli durch den Kopf. Der veranstaltete das Gegenprogramm. Er begann die Reformation in Zürich mit einem öffentlichen Wurstessen zum Beginn der Fastenzeit. Zwei Wochen später ließ er ein Buch folgen: „Von Erkiesen und Fryheit der Spysen“. Darin hat er die Grundsätze festgehalten, die beim Wurstessen nicht so eindeutig erkennbar waren. Auf die sind auch Sie in den letzten Tagen gekommen. Zwingli ist gar nicht gegen das Fasten, sondern nur dagegen, dass man andere dazu verpflichtet. Und dass man ihnen sagt, Fasten sei nötig, um das Heil zu erlangen. Er argumentiert dagegen, dass Christus die Menschen von Reinheits- und Speisevorschriften befreit hat. Christus habe ihnen die Freiheit gegeben, ihr Leben nach seinen Maßstäben zu gestalten, ohne dass daraus Vorschriften für alle werden. Zwinglis Schrift ist ein Manifest der Freiheit. Hier kommt ein Abschnitt, aus dem Schwizerdütsch des 16. Jahrhunderts in heutige Sprache übersetzt: „Willst du gerne fasten, dann tue es. Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch. Lass mir aber dabei dem Christen die freie Wahl. Doch wenn dein Nächster daran Anstoß nimmt, wenn du von deiner Freiheit Gebrauch machst, dann sollst du ihn nicht grundlos in Schwierigkeiten oder Versuchung bringen. Nur wenn er den Grund deiner Freiheit erkennt, wird er nicht mehr daran Anstoß nehmen, es sei denn, er wolle dir vorsätzlich übel. Vielmehr sollst du deinem Nächsten in freundlicher Weise den Glauben erklären und ihm sagen, dass auch er alles essen dürfe und er darin frei sei.“

Freiheit wird unser großes Thema. Allerdings spiegelverkehrt wie bei Huldrych Zwingli. Der wehrte sich gegen die religiöse Vorschrift. Wir stehen davor, dass Leute mit der religiösen Übung nichts mehr anfangen können. Und uns damit aufziehen.

Freiheit – den Trott überwinden, Gewohnheiten neu entwickeln. Freiheit braucht Form und Balance. Alltag und Routine fressen sie an. „Zur Freiheit hat euch Christus befreit“, sagt Paulus im Brief an die Galater. „So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“ Wie kann, wie wird das für uns aussehen?

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Stefan: Die Freiheit, Nein zu sagen… https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/25/stefan-die-freiheit-nein-zu-sagen/ Tue, 25 Mar 2014 16:10:08 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=593 20140307_131249Rauchen geht ganz einfach: Zigaretten liegen herum.  Jeder bietet mir eine an. Aber ich sage: Nein? Auch wenn die Phasen, in denen ich das Rauchen vergesse, immer länger werden. Auch wenn die Momente, da ich mich über mein wohlriechendes Hemd oder den guten Geschmack im Mund freue, immer häufiger werden – der Kampf mit mir, mit meiner Abhängigkeit, mit den Entzugserscheinungen ist noch längst nicht zu Ende.

Ich habe das Gefühl, auf einem Weg zu sein. Ich weiß noch nicht, wohin er mich führt und ob ich nicht unterwegs schwach werde. Es fühlt sich an wie ein Abenteuer mit mir selbst. Die größte Unbekannte bin ich.

Wolfgang, unserem Blog-Theologen, möchte ich sagen: Unsere Freiheit ist ja schon da. Die Freiheit, Nein zu sagen zu Genuss- oder Suchtmitteln (Wein, Schokolade, Kaffee, Zigaretten etc.), und die Freiheit, Schmerzen zu ertragen, die uns stefan2dieses Nein beschert. Sicherlich steht vor der Freiheit, von der Dietrich Bonhoeffer in seinem Gedicht spricht, die „Zucht“, die Beherrschung meiner eigenen Schwächen. „Sie ist“, wie ich in einer Interpretation des Bonhoeffer-Gedichts las, „das Resultat einer Haltung, die allen Mut zusammennimmt und ins Ungewisse springt.“ Der Glaube verleiht Flügel.

Dazu passt, was unlängst im Zeitungsaufsatz einer Rabbinerin stand: „Wer immer schon wissen muss, was am Ende eines Weges wartet, der wird keinen Fuß mehr vor den anderen setzen.“ Das heißt doch: Wer vor jedem Sprung wissen will, wo er landet, wird Chancen im Leben verpassen. Auch das ein Plädoyer für Freiheit und für den Mut zur Freiheit, nicht zu rauchen.

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Wolfgang: Vor der Freiheit kommt die Zucht https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/25/wolfgang-mit-zucht-auf-den-weg-der-freiheit/ Tue, 25 Mar 2014 13:05:25 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=579 Wolfgang ThielmannLiebe Astrid, lieber Klaus,

Cocktailrezepte im Fastenblog sind auch für mich eine Premiere. Mal schauen, wie ich damit umgehe. Vielleicht sollten wir ein Fest zum Fastenbrechen veranstalten und sie dabei ausprobieren.

Ich musste in den letzten Tagen zweimal Güter abwägen. Am Ziel einer Reise bot mir eine Ordensfrau Kekse und Schokolade an. Und es stand eine Schale Oliven auf dem Tisch. Sie hat mich darauf hingewiesen, dass man auf Reisen nicht fasten muss. Ich habe versucht, einen Mittelweg zu wählen, und zwei Kekse gegessen. Um die Gastfreundschaft zu ehren. Sie selber blieb bei den Oliven. Und gestern abend um halb zehn, als ich aus der Redaktion nach Hause kam, stand ein spontaner Besucher vor der Tür, der mir einen Gefallen tun wollte. Ich bot ihm einen Wein an, weil ich wusste, dass er nicht fastet und dass er Wein mag. Hätte ich Wasser trinken sollen? Am liebsten hätte ich es getan. Aber es schien mir gastfreundlicher, ein Glas mit ihm zu teilen. Ein zwiespältiger Genuss. Jetzt steht eine angebrochene Flasche im Kühlschrank. Und ich weiß noch nicht, was ich heute abend tun soll: Schütte ich den Rest weg, um zu fasten? Oder genieße ich noch einmal, vielleicht halbherzig?

Da sind wir beim Thema der Freiheit und der Entscheidung. Sie haben sich klar gemacht, dass Sie sich frei zum Fasten entschieden haben. Und sich auf dem Weg gefragt, ob das eine gute, eine nützliche Entscheidung war. Jetzt, wo das Fasten nicht mehr so schwer fällt, kommt der Zweifel, wem es hilft, bis zum Ende durchzuhalten, wenn es keinen Kick mehr bringt. Und manchmal wächst die Unentschlossenheit.

Dietrich Bonhoeffer, der Märtyrer, hat Situationen wie diese gekannt und dazu ein – ziemlich unbekanntes – Gedicht über die „Stationen auf dem Weg zur Freiheit“ geschrieben (der Titel im Link ist leider verkürzt). Ich habe die erste Strophe auswendig gelernt, als ich mich zum Theologiestudium entschlossen hatte und darin meine Berufung sah, die ich durchhalten wollte. Was Bonhoeffer sagt, spiegelt sich im strengen Versmaß von Distichen, also Zweizeilern aus Hexameter und Pentameter. Sie verleihen den Gedanken die Wucht von Glockenschlägen. Für Bonhoeffer fängt der Weg zur Freiheit mit „Zucht“ an, wir würden sagen: mit der Beherrschung. Wer frei werden will, muss seinen Willen trainieren und über die Begierden des Augenblicks hinwegkommen.  Stefan erlebt das mit dem Nikotin-Entzug von uns allen am heftigsten und unmittelbarsten.

Aber wir haben uns alle auf den Weg zur Freiheit begeben. Darin liegt der Reiz, die Entscheidung durchzuhalten. Die Freiheit liegt – noch – vor uns.

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