Theologe Wolfgang – ohne https://blogs.dw.com/ohne Fasten - drei DW-Reporter im Selbstversuch Tue, 29 Apr 2014 14:57:54 +0000 de-DE hourly 1 Astrid, Klaus, Stefan – Fastenbrechen!!! ;-) https://blogs.dw.com/ohne/2014/04/29/astrid-klaus-stefan-fastenbrechen/ Tue, 29 Apr 2014 14:56:52 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=965 Liebes Publikum,

die Fastenzeit ist vorüber. Der Fasten-Blog hat seine Schuldigkeit getan. Das Experiment ist gelungen. Für alle, die sich gefragt haben, wie es uns, den drei „DW-Journalisten im Selbstversuch“ nach Ablauf der Fastenzeit gehen mag, für all jene veröffentlichen wir dieses Foto

 Fastenbrechen 2014-04-27_17.39.49

Es zeigt Astrid, Klaus und Stefan beim sonntäglichen Grillen im Garten von Wolfgang, unserem theologischen Spritus Rector. Astrid, die Auf-Alkohol-Verzichterin,  hat eine echt brasilianische Batida de Lemon gemixt. Stefan, der Ex-Raucher, hat sich in den Grill-Qualm gestellt. Und Klaus, unser Fleisch-Zucker-und-Koffein-auf-Zeit-Verächter hat Fleisch mitgebracht. Es wurde ein geselliger Abend mit anregenden Gesprächen, an dem jeder der Beteiligten  so seine ganz eigene Bilanz zog. Ein Fazit aber trifft auf alle zu: Das Fasten hat sich gelohnt!

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Wolfgang: In der Freiheit bestehen https://blogs.dw.com/ohne/2014/04/19/wolfgang-in-der-freiheit-bestehen/ Sat, 19 Apr 2014 13:11:43 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=863 Wolfgang ThielmannLiebe drei,

 unser gemeinsamer Weg geht dem Ziel entgegen. Am Abend des Karsamstags liegt traditionell das Ende der Fastenzeit, wenn Jesus nach alter Tradition in der Hölle seinen Sieg verkündet hat und der Abend vor dem Ostermorgen anbricht. Dann wirft die Freude über die Auferstehung ihr Licht voraus (vom Schatten zu reden wäre wirklich unangebracht …).

Ich selber beende das Fasten, ähnlich wie Klaus, am Ostersonntag mit dem Gottesdienst um fünf Uhr früh und einem Frühstück in der Kirchengemeinde. Und ich freue mich darauf. Die letzten Tage ohne Fleisch, ohne Wein und Süßes sind mir noch einmal schwer gefallen. Eigenartig. Ich habe auch diese letzte Phase gebraucht.

Nein, Stefan, in der Tat: Wir sind keine neuen Menschen geworden. Im Neuen Testament werden die Christen in Ephesus aufgefordert, als es um das Neuwerden in Christus heißt: „Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.“ Da schwingt etwas mit, was auch in Ihren Resümees zum Ausdruck kam. Wir bleiben wir selbst. Aber wir werden neu eingekleidet. Martin Luther hat es in die dialektische Formel gebracht, der Mensch sein „gerecht und Sünder zugleich“. Bei sich selbst Sünder, bei Gott gerecht. Aber weil wir bei Gott gerecht sind, können wir den neuen Menschen anziehen. Wir können uns entscheiden. Darin liegt unsere Freiheit. Und unsere Berufung. „Ich glaube“, hat Dietrich Bonhoeffer formuliert, „dass Gott kein zeitloses Faktum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“ Das, unser Handeln und das Warten wie auch die Antwort Gottes, lässt uns in unserem Leben Sinn erkennen. Astrid will gute Nachrichten entdecken. Gute Nachricht heißt auf Griechisch, der Grundsprache des Neuen Testaments: Evangelium.

Dietrich Bonhoeffer möchte ich auch ans Ziel des Weges stellen. Auf dem Weg begleitete uns die erste Strophe des Gedichts aus der Haft im Jahr 1944 „Stationen auf dem Weg der Freiheit“. Es ging darum, sich zu beherrschen und Nein zu sagen. Stefan half es, dass wir an seiner Seite standen. Freiheit, die für andere verlässlich bleibt, umfasst auch den Verzicht.

Doch jetzt folgt der nächste Schritt: Lerne handeln. Deshalb habe ich angeregt, ein Resümee zu ziehen. Mit der zweiten Strophe des Gedichts geht unser Weg weiter. Und das Jauchzen am Schluss werden wir gemeinsam ausprobieren, wenn wir das Fastenbrechen miteinander feiern:

 

Tat

Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen,

nicht im Möglichen schweben, sondern das Wirkliche tapfer ergreifen,

nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.

Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens

nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen,

und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.

 

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Wolfgang: Wozu will ich frei sein? https://blogs.dw.com/ohne/2014/04/16/wolfgang-wozu-will-ich-frei-sein/ Wed, 16 Apr 2014 09:08:53 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=831 Wolfgang ThielmannLiebe drei,

auf der letzten Strecke löst das Fasten Glücksgefühle aus. Wie beim Marathon. Anders als bei Sprint und Mittelstrecke braucht Marathon keinen Schlussspurt. Über den Sieg entscheidet die Ausdauer: der Weg ist das Ziel. Sie drei haben sie gezeigt. Jetzt ist das Ziel nah und die Versuchung gering, noch auf den letzten Metern auszusteigen. Jetzt steigt Vorfreude auf den Genuss oder, bei Stefan, auf dass Bewusstsein, durchgehalten zu haben, was die nach dem Fasten beginnende Strecke leichter macht.

Mich beschäftigt immer noch die Frage nach dem Wert des Fastens. Und nach seinem Ertrag. Sie haben ihn für sich selbst definiert. Astrid hat den Sinn gefunden, dass Fasten, ihr Fasten, für viele Menschen normal ist. Damit gewinnt Fasten eine soziale Bedeutung. So zu fasten bringt mich anderen Menschen näher. Deshalb auch hat Astrid den Wunsch geäußert, dass Fasten auch für sie zu einer normalen Sache wird. Und dass sie das Gefühl überwindet, damit etwas Besonderes zu tun. Fasten wird zu einem Zeichen der Solidarität.

Bisher haben wir den Sinn des Fastens überwiegend für uns selbst formuliert. Doch etwa Stefan, der begonnen hat, das Rauchen aufzugeben, zeigt Verantwortung, nicht nur für sich, sondern auch für andere.

Den Gedanken finde ich auch im neuen „Lexikon des Dialogs“ wieder. Es stellt christliche und islamische Überzeugungen einander gegenüber. Aus islamischer Sicht ist Fasten vorgeschrieben und schult die Willenskraft. Es hilft, geistig zu reifen. Seinen Kern „macht die Erfahrung einer inneren Reinigung sowie der Wunsch nach Gottesnähe aus“, sagt der Islamgelehrte Talip Türcan. Dieses Verständnis haben wir schon bei Gregor von Nyssa kennen gelernt. (Nyssa ist das heutige Nevşehir in der Türkei. Vielleicht hat Gregor da sein Erbe hinterlassen.)

Aus christlicher Sicht ist Fasten dagegen ein Mittel zum Zweck. „Entscheidend ist“, schreibt der katholische Theologe Martin Thurner aus München, „dass das Fasten aus einer inneren Intention heraus geschieht und auch von tätigen Werken der Umkehr und Nächstenliebe begleitet wird.“

Das heißt also: Niemand fastet nur für sich allein. Wer es mit Gott und vor Gott tut, der gewinnt dabei auch einen Blick für andere. Freiheit ist nicht nur Freiheit von: Vom Alltag, vom Genussbedürfnis. Sondern auch Freiheit zu: zur Hingabe, zum Engagement, zur bewussten Entscheidung. Zugunsten von Menschen, die uns brauchen.

Nicht nur unsere vom Alltag oder vom Nikotin betäubten Papillen werden geöffnet, um neu zu schmecken, sondern auch unsere Sinne, um neu wahrzunehmen: Wozu tue ich, was ich tue, wozu will ich es tun?

Was werden Sie mit der neuen Freiheit anfangen, wem soll sie zugute kommen? Wenn Sie mögen, lassen sie uns das zum Schluss zusammentragen.

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Wolfgang: Verkürzt Fasten das Fegefeuer? https://blogs.dw.com/ohne/2014/04/13/wolfgang-verkuerzt-fasten-das-fegefeuer/ Sun, 13 Apr 2014 04:38:35 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=779 Wolfgang ThielmannLiebe Mitfastende,

wir fangen an, Resümee zu ziehen und unsere Absichten und unseren Ertrag zu definieren. Wir beginnen zu spüren, dass uns ein Gewinn an Freiheit winkt. Weil sich das Maß verschoben hat, ist aus Genuss Gewohnheit geworden.  Durch den Verzicht wird das deutlich. Wir können das Maß neu justieren. Graduell wie Astrid und Klaus oder radikal wie Stefan.

Dabei sollen wir uns nicht besser fühlen, sagt Astrid. Verzicht ist normal. Denn vielen bleibt nichts anderes übrig. Also ist Fasten auch ein Akt der Solidarität mit anderen, die zum Verzicht gezwungen sind. Das entspricht dem Tweet von Papst Franziskus am 31. März: „Die Fastenzeit ist die Zeit zum Kurswechsel, um gegen das Böse und das Elend anzugehen.“

Es hat mich auch an die Sätze erinnert, die Jesus in Matthäus 6 zum Fasten gesagt hat: Keine nach Anerkennung fischende Leichenbittermiene. Normalität. Und ein bisschen preußische Pflichterfüllung. Auch die geht auf ein Wort zurück, das Jesus seinen Jüngern sagte: „Wenn ihr getan habt, was euch aufgetragen ist, dann sagt: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“ Das Maß bewahren, nicht zu viel Wind um die eigene Leistung machen.

Kann man trotzdem das Ende feiern? Den wieder gewonnenen Genuss? Oder die Freiheit, wie Stefan? Oder noch mehr?

Der Katechismus der katholischen Kirche bestätigt unsere Erfahrung. Die Fastentage tragen dazu bei, sagt er, „dass wir uns die Herrschaft über unsere Triebe und die Freiheit des Herzens erringen.“ Er stellt Jesus in der Wüste als Vorbild der Fastenden hin. Seinen Gehorsam gegenüber seiner Berufung. Seine Standhaftigkeit gegen das Angebot der Macht und des Einflusses. Dreimal wehrt er sich gegen Angebote und Argumente des Teufels. Dann zieht der Teufel sich zurück, und beim Evangelisten Matthäus heißt es: Engel kamen und dienten ihm. Im katholischen Katechismus folgt der Satz: „Durch die vierzigtägige Fastenzeit vereint sich die Kirche jedes Jahr mit dem Mysterium Jesu in der Wüste“. Braucht man zum Fasten die Kirche? Gewinnt es dadurch an Tiefe?

Noch weiter geht der zweithöchste Jurist im Bistum Eichstätt, Alexander Pytlik, der sich auch als Internetpfarrer betätigt. In einer Predigt zum Fastensonntag erinnert er an die katholische Ablasslehre: Durch Fasten, Beten und durch andere fromme Übungen wie den Besuch bestimmter Kirchen können Katholiken sich selber oder anderen die Zeit im Fegefeuer verkürzen oder ganz ersparen. Denn dann genießen sie sozusagen ihre persönliche Rendite des Kirchenschatzes, der aus den Verdiensten Jesu und der Heiligen besteht und aus dem die Kirche austeilen kann.

Das ist konfessionell vermintes Gelände. Luthers 95 Thesen richten sich genau gegen den Ablass. Protestanten lehnen wenige Lehren so strikt ab wie diese. Doch sie gehört zur katholischen Kirche. Und die Ablasslehre stellt uns eine interessante Frage: Gefallen wir Gott mit Fasten, kommen wir ihm näher, unabhängig davon, ob wir das empfinden oder nicht? Und macht es also die Welt ein bisschen besser, auch wenn das niemand wahrnimmt?

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Wolfgang: Frauen fasten anders https://blogs.dw.com/ohne/2014/04/04/wolfgang-frauen-fasten-anders/ Fri, 04 Apr 2014 15:56:57 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=678 Wolfgang ThielmannHallo Ihr drei,

wir sind auf gutem Weg, ein Gender-maingestreamtes Fasten zu definieren. Stefan fürchtet den Gender-Pilz, andere vielleicht das Gender-Pils. Die Umfrage der Apothekenumschau, nach der Frauen beim Fasten öfter scheitern, klingt wie die Wiederbelebung der Rede vom schwachen Geschlecht. Klaus hat ja die Umfrage selber interpretiert und in ihren Interessenkontext gestellt. Solche Erhebungen erheben mitunter die Fragenden. Der Antrieb dazu ist die Angst, die die Werbung für einen scharfen Drops klassisch formulierte: „Sind sie zu stark, bist du zu schwach.“

Die Umfrage hätte zur These meines Kirchengeschichtsdozenten gepasst. Der meinte, in der Antike seien Männerkulte eher asketisch und Frauenkulte eher orgiastisch gewesen. Wir haben ihm erst einmal geglaubt, und als wir fragen wollten, war das Thema schon durch. Ob er Adam und Eva meinte? Hetären? Tempelsklavinnen? Es gibt im zweiten Buch der Könige eine strikte Absage an Tempelsklaven, wie sie andere Kulte praktizierten. Der Reformkönig Joschija, der das verlorene Gesetzbuch wiederfindet, lässt die Sklavenhäuser am Tempel abreißen, „in denen die Frauen Schleier für die (Göttin) Aschera webten.“ Das klingt jetzt nicht sehr orgiastisch. In den letzten Jahren haben Forscher die antiken Berichte über Tempelprostitution in Zweifel gezogen. Wahrscheinlich hat einer die exotische Sensation vom anderen abgeschrieben, ohne den Wahrheitsgehalt zu prüfen. Einige wenige Beispiele dafür sind nur aus Indien belegt.

Mich erinnert die Umfrage auch an die klugen und lebensfrohen Nonnen aus dem mexikanischen Chiapas. Die hatten eine Regelungslücke des erst sechs Jahre zuvor beendeten Konzils von Trient genutzt, das die bis heute geltenden Fastenregeln aufstellte: kein Fleisch von Landtieren, nichts Festes, aber Flüssiges. Die Nonnen tranken Xocoátl, zu deutsch: Schokolade. Das sahen ihre Bischöfe ungern. Die Nonnen meinten, das Getränk mache sie freudiger zum Gebet. Die Bischöfe fürchteten, dass das Getränk ganz andere Lüste wecke, denn man munkelte allerlei. Deshalb schickten sie 1569, eine Generation nach Martin Luther, einen Abgesandten, Girolamo di San Vincenzo, zu Papst Pius V., um die Frage zu klären. Der Papst hatte eigentlich größere Probleme: Er wollte einen Kreuzzug gegen die Türken auf den Weg bringen. Widerwillig kostete er von dem Getränk, das ihm Fra Girolamo gekocht hatte: nur mit gallebitteren Kakaobohnen, ohne die eigentlich üblichen Kräuter. Und befand: „So ein Zeug bricht kein Fasten.“ Fünf Päpste bestätigen in den Jahrzehnten darauf seine Entscheidung, denn die Bischöfe gaben so schnell nicht auf. Dominikaner verdammten die Fastenschokolade, Jesuiten befürworteten sie; allerdings handelten sie auch schwunghaft damit. Die klugen Nonnen machte sich das Fasten angenehm.

Vielleicht fiel ihnen damit eine Regel leichter, die Jesus aufstellte. Er mochte nicht, dass man mit Fastenbittermiene durch die enthaltsamen Wochen geht. Sondern: „wenn du fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist.“ Vielleicht können Frauen mit ihrer Lust am Leben das leichter umsetzen. Vielleicht fasten Frauen anders. Ich faste jedenfalls gerne mit Frauen, die dabei Cocktailrezepte austauschen.

Und, Klaus, eine ehrliche Antwort auf Ihre Frage am Schluss: Am Wochenende breche ich mein Fasten, wahrscheinlich sogar bis Montag. Ich habe Geburtstag und dazu viele Freunde eingeladen, bevor ich zusagte, Sie hier beim Fasten zu begleiten. Habe ich Ihren Segen?

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Wolfgang: Vom Erkiesen und Fryheit der Spysen https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/30/wolfgang-vom-erkiesen-und-fryheit-der-spysen/ https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/30/wolfgang-vom-erkiesen-und-fryheit-der-spysen/#comments Sun, 30 Mar 2014 14:41:27 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=641 Wolfgang ThielmannLiebe drei,

ist Fasten gesund? Das wissen nicht einmal die Kollegen von Men’s Health, und wenn die es nicht wissen, dann kann es nicht gesund sein. Mit Abnehmen wird es auch nichts. Eine Woche vegetarische Ernährung lässt mich Mengen vertilgen, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Eigentlich sagt die katholische Fastentradition, dass man eine Hauptmahlzeit und zwei kleinere pro Tag zu sich nehmen sollte. Ich wüsste nicht, wie ich das einhalten könnte. Wahrscheinlich braucht das richtige Vorbereitung.

Und dann noch die kleinen Versuchungen. In der vergangenen Woche hatte ich zwei Tagungen zu absolvieren, beide in kirchlichen Einrichtungen. Durch die Hinreise dachte ich nicht ans Essen. Die Tagungsleiterin hatte Teilchen mitgebracht, damit niemand hungert. Wie freundlich. Ich sprach meine Nachbarin auf die Fastenzeit an. „Ach, sagte sie“, die hält doch sowieso keiner ein.“ „Ich bin gerade dabei“, sagte ich und erntete einen mitleidig-ironischen Blick. Am nächsten Tag waren wir im Erzbischöflichen Generalvikariat zu Gast. Bei Wasser, Kaffee – und Plätzchen. Auch da kann es sein, dass einer der Einladenden ein bisschen Beköstigung mitgebracht hat; ich habe nicht gefragt. Kirchliche Häuser, finde ich, könnten auf Wunsch Fastenverpflegung anbieten. Beide Male blieb ich standhaft. Und kam hungrig zu Hause an.

Was heißt „hungrig“: Richtig gehungert habe ich nur einmal im Leben, auf dem Land in Kambodscha und Vietnam. Einen Tag lang wusste ich nicht genau, wann ich das nächste Mal würde essen können. Aber meine Gruppe fuhr nach Saigon, deshalb musste ich mir endgültig keine Sorgen machen. Im Vorbeifahren sah ich Menschen vor leeren Reisspeichern sitzen, ohne die Aussicht, die ich hatte. Seitdem höre ich es mit anderen Ohren, wenn es heißt, dass Menschen unter einer Hungersnot leiden. Es muss furchtbar sein, auch wenn das Hungergefühl nachlässt.

Als ich vor den süßen Sachen aufstand, ohne davon genommen zu haben, spürte ich einen euphorischen Moment. Ich hatte durchgehalten, weil ich wollte. Ein Freiheitsgewinn. Und ich beginne, mich auf das Fastenbrechen am Wochenende und schließlich zu Ostern zu freuen. Auf den Genuss. Und zugleich spüre ich, dass die Freiheit Übung braucht, dass die Wochen des Fastens für mich einen Sinn ergeben.

Dabei ging mir der Schweizer Reformator Huldrych Zwingli durch den Kopf. Der veranstaltete das Gegenprogramm. Er begann die Reformation in Zürich mit einem öffentlichen Wurstessen zum Beginn der Fastenzeit. Zwei Wochen später ließ er ein Buch folgen: „Von Erkiesen und Fryheit der Spysen“. Darin hat er die Grundsätze festgehalten, die beim Wurstessen nicht so eindeutig erkennbar waren. Auf die sind auch Sie in den letzten Tagen gekommen. Zwingli ist gar nicht gegen das Fasten, sondern nur dagegen, dass man andere dazu verpflichtet. Und dass man ihnen sagt, Fasten sei nötig, um das Heil zu erlangen. Er argumentiert dagegen, dass Christus die Menschen von Reinheits- und Speisevorschriften befreit hat. Christus habe ihnen die Freiheit gegeben, ihr Leben nach seinen Maßstäben zu gestalten, ohne dass daraus Vorschriften für alle werden. Zwinglis Schrift ist ein Manifest der Freiheit. Hier kommt ein Abschnitt, aus dem Schwizerdütsch des 16. Jahrhunderts in heutige Sprache übersetzt: „Willst du gerne fasten, dann tue es. Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch. Lass mir aber dabei dem Christen die freie Wahl. Doch wenn dein Nächster daran Anstoß nimmt, wenn du von deiner Freiheit Gebrauch machst, dann sollst du ihn nicht grundlos in Schwierigkeiten oder Versuchung bringen. Nur wenn er den Grund deiner Freiheit erkennt, wird er nicht mehr daran Anstoß nehmen, es sei denn, er wolle dir vorsätzlich übel. Vielmehr sollst du deinem Nächsten in freundlicher Weise den Glauben erklären und ihm sagen, dass auch er alles essen dürfe und er darin frei sei.“

Freiheit wird unser großes Thema. Allerdings spiegelverkehrt wie bei Huldrych Zwingli. Der wehrte sich gegen die religiöse Vorschrift. Wir stehen davor, dass Leute mit der religiösen Übung nichts mehr anfangen können. Und uns damit aufziehen.

Freiheit – den Trott überwinden, Gewohnheiten neu entwickeln. Freiheit braucht Form und Balance. Alltag und Routine fressen sie an. „Zur Freiheit hat euch Christus befreit“, sagt Paulus im Brief an die Galater. „So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“ Wie kann, wie wird das für uns aussehen?

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Wolfgang: Vor der Freiheit kommt die Zucht https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/25/wolfgang-mit-zucht-auf-den-weg-der-freiheit/ Tue, 25 Mar 2014 13:05:25 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=579 Wolfgang ThielmannLiebe Astrid, lieber Klaus,

Cocktailrezepte im Fastenblog sind auch für mich eine Premiere. Mal schauen, wie ich damit umgehe. Vielleicht sollten wir ein Fest zum Fastenbrechen veranstalten und sie dabei ausprobieren.

Ich musste in den letzten Tagen zweimal Güter abwägen. Am Ziel einer Reise bot mir eine Ordensfrau Kekse und Schokolade an. Und es stand eine Schale Oliven auf dem Tisch. Sie hat mich darauf hingewiesen, dass man auf Reisen nicht fasten muss. Ich habe versucht, einen Mittelweg zu wählen, und zwei Kekse gegessen. Um die Gastfreundschaft zu ehren. Sie selber blieb bei den Oliven. Und gestern abend um halb zehn, als ich aus der Redaktion nach Hause kam, stand ein spontaner Besucher vor der Tür, der mir einen Gefallen tun wollte. Ich bot ihm einen Wein an, weil ich wusste, dass er nicht fastet und dass er Wein mag. Hätte ich Wasser trinken sollen? Am liebsten hätte ich es getan. Aber es schien mir gastfreundlicher, ein Glas mit ihm zu teilen. Ein zwiespältiger Genuss. Jetzt steht eine angebrochene Flasche im Kühlschrank. Und ich weiß noch nicht, was ich heute abend tun soll: Schütte ich den Rest weg, um zu fasten? Oder genieße ich noch einmal, vielleicht halbherzig?

Da sind wir beim Thema der Freiheit und der Entscheidung. Sie haben sich klar gemacht, dass Sie sich frei zum Fasten entschieden haben. Und sich auf dem Weg gefragt, ob das eine gute, eine nützliche Entscheidung war. Jetzt, wo das Fasten nicht mehr so schwer fällt, kommt der Zweifel, wem es hilft, bis zum Ende durchzuhalten, wenn es keinen Kick mehr bringt. Und manchmal wächst die Unentschlossenheit.

Dietrich Bonhoeffer, der Märtyrer, hat Situationen wie diese gekannt und dazu ein – ziemlich unbekanntes – Gedicht über die „Stationen auf dem Weg zur Freiheit“ geschrieben (der Titel im Link ist leider verkürzt). Ich habe die erste Strophe auswendig gelernt, als ich mich zum Theologiestudium entschlossen hatte und darin meine Berufung sah, die ich durchhalten wollte. Was Bonhoeffer sagt, spiegelt sich im strengen Versmaß von Distichen, also Zweizeilern aus Hexameter und Pentameter. Sie verleihen den Gedanken die Wucht von Glockenschlägen. Für Bonhoeffer fängt der Weg zur Freiheit mit „Zucht“ an, wir würden sagen: mit der Beherrschung. Wer frei werden will, muss seinen Willen trainieren und über die Begierden des Augenblicks hinwegkommen.  Stefan erlebt das mit dem Nikotin-Entzug von uns allen am heftigsten und unmittelbarsten.

Aber wir haben uns alle auf den Weg zur Freiheit begeben. Darin liegt der Reiz, die Entscheidung durchzuhalten. Die Freiheit liegt – noch – vor uns.

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Wolfgang: Ändere Dein Leben! https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/19/wolfgang-aendere-dein-leben/ Wed, 19 Mar 2014 15:36:54 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=525 Wolfgang ThielmannLieber Stefan,

ja: Sie haben von uns den schwersten Part. Sie üben einen Verzicht, dessen Absicht weiter reicht als die 40 Tage. Am Ende steht kein Fastenbrechen, sondern eine Wendung. Das sieht zunächst nicht nach dem herkömmlichen Fasten aus. Doch auf einer tieferen Ebene erfüllt Ihr Weg genau das, wohin uns das Fasten führt.

Beim Fasten begeben wir uns auf den Weg zu uns selbst. Je weiter wir gehen, desto genauer lernen wir uns selbst kennen. Sie erleben das gerade mit allen Schmerzen, die dazu gehören. Zu mir gehören meine Gewohnheiten, meine Erwartungen und meine Abhängigkeiten. Sobald ich mich ihnen verweigere, erfahre ich in aller Konsequenz, wie sehr sie ein Teil von mir sind, wie sehr sie mich beeinflussen, wie abhängig ich bin. Wie sehr sie meine Wahrnehmung beeinflussen. Sie schreiben vom Genuss einer Zigarette zum Wein. Vielleicht werden Sie in einiger Zeit feststellen, wenn Sie einen guten, finessenreichen Wein kosten, wie viel mehr Aromen Sie wahrnehmen, weil kein Nikotin die Papillen betäubt.

Mir selber zu begegnen – das hat ein Ziel. In der Bibel heißt es Metanoia und ist ein Schlüsselwort des Christentums. Martin Luther hat es mit Buße übersetzt. In seinen 95 Thesen kommt es oft vor. Das Wort ist heute korrumpiert wie eine Raucherzunge. Für uns klingt es nach Gegenleistung, nach Ausgleich für eine Verfehlung. Wir zahlen eine Geldbuße.

Metanoia bedeutet aber: Den Sinn woandershin wenden, neue Erkenntnis gewinnen, dem Leben eine Wendung geben. Peter Sloterdijks Buchtitel „Du musst dein Leben ändern“ trifft es (fast) ganz gut. Es kommt aber mehr noch auf die innere Bereitschaft an, die Änderung zuzulassen. Denn die Bibel sagt, dass wir selber die Änderung nicht bewirken können. Das ist Gottes Sache. Unser Part ist es, den Willen und die Bereitschaft dazu zu entwickeln.

Ihr Fasten, Stefan, zielt auf Lebensänderung. Sie wollen aus Abhängigkeiten heraus. Und Sie erfahren gerade schmerzhaft, wie tief diese Absicht Ihr Leben verändert, wie viele Leerstellen es erst einmal schafft. Ihr Fasten führt, wie das, das Jesus praktiziert hat, in die Wüste. Die Veränderung kommt nicht schnell. Sie erleben, dass man sich den Weg erkämpfen muss, mit dem Geschmack von Staub im Mund und mit Sand in den Augen und unter den Füßen, der unter dem Gewicht nachgibt und jedem Schritt größere Mühe abfordert. Und Sie werden deutlicher als wir gewahr, dass wir den Weg zu uns selber zu Ende gehen müssen. Jesus trifft in der Wüste den Teufel. Wir vielleicht auch, weil er in uns steckt und von uns mehr Besitz ergriffen hat, als uns lieb ist.

Die Verheißung, die am Ende des Weges leuchtet, liegt darin: Wer sich selber richtig kennen gelernt hat, der kann bewusster umdenken und sich auf eine neue Lebensrichtung einstellen. Zu Jesu kamen am Ende die Engel und dienten ihm.

Davor liegt der Weg durch die Wüste. Den nimmt Ihnen niemand ab. Vielleicht machen Sie die Erfahrung des Propheten Elia. Der floh entmutigt in die Wüste und wollte sterben. Eigentlich sehnte er sich danach, Gott zu sehen. Er erlebt Sturm, Erdbeben und Feuer. Am Ende kommt ein stilles, sanftes Sausen. Daraus spricht Gott.

Das würden wir gern mit Ihnen erleben.

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Wolfgang: Gott, wie süß! https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/17/wolfgang-gott-wie-suess/ Mon, 17 Mar 2014 10:24:46 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=499 Wolfgang ThielmannLieber Klaus,

auch mir fällt der Verzicht auf Süßes zeitweise am schwersten (und vielleicht auch Astrid?). Süße ist etwas Besonderes. Vielleicht kann der Verzicht das wieder zutage fördern. Ihre Recherchen haben schon ergeben, dass Süße bis vor zwei Jahrhunderten die kostbarste und teuerste aller Geschmacksrichtungen war. Sie haben die Bach-Motette „Jesu meine Freude“ zitiert mit der Schlussstrophe: „Denen, die Gott lieben muss auch ihr Betrüben lauter Zucker sein“.

Der Text von Johann Franck entstand 1650, die  Musik Bachs wohl um 1730. Damals konnten sich nur die Klotzreichen den Stoff leisten, der von den ersten Zuckerrohrplantagen aus den Westindischen Inseln importiert wurde. Franck und Bach wollten sagen: Auch wenn die Beziehung zu Gott von Zweifeln und Anfechtung und das Leben von Rückschlägen durchzogen ist – bei dem, der Gott vertraut, wird das alles einen unendlichen Wert für sein Leben gewinnen. Eine kühne Botschaft für Familien, in denen Krieg und auch der Tod von Kindern zum Alltag gehörten und wo eine ernsthafte Krankheit des Vaters die Familie ruinieren konnte.

Den einzigen heimischen Süßstoff dieser Zeit, nämlich Honig, gewannen die Zeidler, die Vorfahren unserer Imker, durch Bienenhaltung in Waldbäumen. 15 Jahre nach Bachs Motette wurde Zucker erstmals in Rüben nachgewiesen. Erst ein knappes Jahrhundert später begann die industrielle Rübenzuckerproduktion, die den süßen Stoff billiger machte. Interessanterweise heißt es in Bachs Kaffeekantate von 1734, also aus der gleichen Zeit wie die Motette (Klaus, ich muss es Ihnen zumuten!): „Ei, wie schmeckt der Coffee süße“. Nicht, weil er gesüßt wurde, sondern weil er kostbar und ebenfalls teuer war. Bach trank ihn im Zimmermannschen Kaffeehaus in Leipzig. Dort wurde auch die Kantate uraufgeführt. Das Kaffeehaus war vierzig Jahre zuvor als eins der ersten in Deutschland eröffnet worden. Der Name „Süß“ ist übrigens für Christen und Juden („Jud Süß“) belegt und bezeichnete wohl ursprünglich einen angenehmen, freundlichen Menschen.

In der Kostbarkeit des Zuckers liegen Gründe, warum die Bibel das Wort „süß“ ganz anders gebraucht als unser Nachwuchs. Vielleicht abgesehen vom Hohenlied: Da findet der Mann die Stimme der Geliebten und sie seinen Mund süß. Aber auch da meint das Wort nicht nur Putziges oder Liebenswertes, sondern auch das Teure und Wertvolle.

Das Kostbare, Begehrte der Süße spiegelt sich etwa in den Sprüchen: „Ein Satter tritt Honigseim mit Füßen; aber einem Hungrigen ist alles Bittre süß.“ Das Gegenteil von süß ist bitter, nicht sauer wie bei uns heute. In Epheser 5,2 hat sich Christus für uns gegeben, „Gott zu einem süßen Geruch“. Das spielt auf die Opfertheologie des Alten Testaments an. Als zu Pfingsten der Heilige Geist auf die Jünger herabkommt und sie in allen Sprachen Gott loben, sagen die Kritiker: „Sie sind voll süßen Weins.“ Der Vorwurf heißt: Sie haben mit einem kostbaren Getränk geaast und wussten nicht, wann es genug war. Denn der süße Wein gehörte zu Festen. Der für den Alltag muss dagegen ziemlich sauer gewesen sein. Süß und damit nahrhaft, gesund und kostbar ist in der Bibel das Wort Gottes – und alles, was von ihm kommt. An Bluthochdruck mussten die Autoren noch nicht denken. Ihr Zuckerkonsum fiel kaum ins Gewicht.

In den apokryphen Schriften der Christenheit, also denen, die es nicht ins Neue Testament schafften, setzt sich das Thema fort. Der Kirchengeschichtler Christoph Markschies, der sie neu herausgegeben hatte, war so freundlich, für uns nachzuschauen. Der gnostische Schöpfungsmythos aus dem „Dialog des Erlösers“  etwa illustriert die Fürsorge Gottes: „Dann sandte er Quellen von Milch und von Honig und Wein und gute Früchte und süßen Geschmack und gute Wurzeln, damit die Erde keinen Mangel habe.“

Im „Evangelium der Wahrheit“ aus dem zweiten Jahrhundert heißt es über das Wort: Es kommt aus dem Herzen Gottes, des Vaters, und „nun trägt es alle, indem es sie erwählt. Und das Wort, das sie zum Vater und zur Mutter zurückkehren lässt, ist Jesus, der Sohn der Grenzenlosigkeit und der Süße.“ Auch von Gott, dem Vater, sagen die Autoren: „Der Vater ist süß, und in seinem Willen ist Gutes.“ Und wenig später: Er sei „weder bitter noch zornig, sondern ohne Falsch, unerschütterlich und süß, einer, der jeden Weg kennt, bevor er entsteht.“

Was die Autoren mit der Süße ausdrücken wollten, passt zu unseren Fastenwochen. Lieber Klaus, wenn Ihnen in der kommenden Woche der Verzicht auf Kaffee und Zucker zu schaffen macht, denken Sie an Francks Text und den Choral, den Bach daraus gemacht hat: „Denen, die Gott lieben, muss auch ihr Betrüben lauter Zucker sein.“ Wer auf Gott vertraut, muss nicht fürchten, dass ihm etwas entgeht, wenn er verzichten muss, wenn das Leben an ihm vorbeizuziehen scheint. Er kann darauf setzen, dass alles, was uns begegnet, das Gütesiegel der Liebe Gottes trägt – auch das, was nach dem Gegenteil aussieht.

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Wolfgang: Den Weg zu Ende gehen! https://blogs.dw.com/ohne/2014/03/13/451/ Thu, 13 Mar 2014 17:36:58 +0000 http://blogs.dw.com/ohne/?p=451 Wolfgang ThielmannLiebe Astrid, liebe Mitfastende,

erst noch einmal ein Kompliment für den Song „Wenn ich mit Gott sprechen wollte“. Ich war dabei, als Sie ihn im Bonner Pantheon auf die Bühne gebracht haben. Hinreißend! Wir haben begeistert applaudiert.

Ja, es fängt an, weh zu tun. Wir kommen in eine entscheidende Zeit. Gestern musste ich der Arbeit die Mittagspause opfern. Als sich der Hunger meldete, waren im World Café nebenan nur noch gesüßter Müslijoghurt und Nussecken verfügbar. Einen Moment dachte ich an die kluge Regel, dass man am fremden Tisch, auf Reisen und bei schwerer Arbeit nicht fasten muss. Und war drauf und dran, meine Arbeit als schwer einzustufen. Dann habe ich der Versuchung widerstanden – und ließ eine Mahlzeit ausfallen. Und fragte mich, ob das sein muss. Heute hätte ich mich gern mit einem Eis für ein gutes Interview belohnt. Nein.

Bringt Fasten uns Gott näher? Erst lernen wir jemand anders kennen. Warum faste ich, obwohl ich nicht muss? Warum soll ich darauf achten, keinen Kaffee, keinen Alkohol und keinen Zucker zu mir zu nehmen, nicht zu rauchen? Weil es uns hilft, in uns zu gehen. Und zu fragen, was wir wirklich wollen. Da begegnen wir dann uns selber. Sehen den Sinn nicht mehr so ganz. Haben aber versprochen, dabei zu sein. Das erinnert mich daran, wie Paulus im Römerbrief schreibt, dass unsere Gedanken einander verklagen und entschuldigen. So anschaulich lässt sich das Gewissen beschreiben. Das sind wir, sagt die erste Erfahrung, ein Hin und Her.

Aber das ist nicht alles, was uns ausmacht. Deshalb ist Durchhalten wichtig. Manche Wege muss man zu Ende gehen. Erst an Ende des Weges sind wir wirklich bei uns selber angelangt.

Das zweite Buch der Könige im Alten Testament berichtet, dass der syrische General Naaman an Aussatz erkrankt. Da erfährt er vom israelischen Propheten Elischa (evangelisch: Elisa, katholisch: Elisäus, islamisch: Elyasa) und fährt sechsspännig bei ihm vor, um durch die Heilkräfte des Gottes Elischas der Krankheit zu entgehen – und der gesellschaftlichen Ächtung, denn als Seuchenträger würde er aus der Stadt vertrieben.

Elischa provoziert Naaman doppelt: Er bleibt im Haus und lässt seinen Diener Gehasi ausrichten, der General solle sich siebenmal im Jordan waschen. Siebenmal, nicht weniger. Naaman wird wütend, weil der Prophet ihm keine Ehre erweist: „Kann er nicht herauskommen und für mich beten, so dass ich gesund werde?“ Und Syrien, so entfährt es dem Befehlshaber, hat weit bedeutendere Flüsse als den Jordan, dieses Rinnsal, diesen besseren Dorfbach! Da soll er siebenmal hineinsteigen? Ein peinlicher Anblick, eine sinnlose Wiederholung, eine Demütigung. Seine Diener müssen ihn mit Engelszungen überreden. Schließlich lässt er sich herab und entledigt sich seiner Uniform, die sagen soll, wer er ist. Nach dem siebten Mal kommt er gesund aus dem Flüsschen. Und findet zu sich selber, denn er gibt anschließend Gott die Ehre.

Über die Geschichte Naamans hat in den Achtzigerjahren ein Freund gepredigt, Theo Lehmann. In Chemnitz, das damals eine Zeitlang Karl-Marx-Stadt hieß und in der DDR lag. Das Thema seiner Predigt lautete: Ein General geht baden. In der durchmilitarisierten DDR war das eine durchtriebene Provokation. Die Zuhörer grienten, weil sie die Ironie verstanden. Auch die Stasi hörte mit. Und setzte seine Kirche unter Druck, um ihn zur Ausreise zu bewegen. Doch er blieb – und dachte sich weitere durchtriebene Themen für seine Predigten aus.

Er hat als Zeuge des Evangeliums durchgehalten. Wenn wir beim Fasten durchhalten, gelangen wir am Ende zu uns selber. Gott allerdings begegnen wir nicht erst am Ende des Weges. Er geht den ganzen Weg mit, sagt die Bibel. Und Theo Lehmann auch.

Wenn es nochmal schwer wird, singen Sie!

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