More DW Blogs DW.COM

Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Ulrich bricht Solo-Arktisexpedition ab

Thomas Ulrich vor wenigen Tagen

Thomas Ulrich vor wenigen Tagen

Der Mann hat mich vor sechs Jahren zum Nordpol geführt. Ich habe Thomas Ulrich also viel zu verdanken. Der 47 Jahre alte Abenteurer aus der Schweiz erwies sich damals bei unserer Last-Degree-Expedition als ein umsichtiger und motivierender Expeditionsleiter. Auch in diesem Jahr führte Thomy wieder eine Gruppe auf Skiern, Schlitten hinter sich her ziehend, die letzten knapp 120 Kilometer vom 89. Breitengrad zum Nordpol. Vor einer Woche erreichten sie 90 Grad Nord. Im Gegensatz zu 2009 flog Ulrich diesmal jedoch nicht mit den anderen Expeditionsteilnehmern im Hubschrauber zurück zur russischen Eisstation „Barneo“. Thomy wollte alleine und ohne Unterstützung von außen Richtung kanadisches Festland ziehen. Sein Ziel: Ward Hunt Island, 800 Kilometer vom Nordpol entfernt. 30 bis 40 Tage hatte er für die Strecke einkalkuliert, die bisher nur von seinem norwegischen Freund und früherem Expeditionspartner Borge Ousland als Sologänger gemeistert worden war. Doch nach wenigen Tagen machte Ulrich wieder kehrt.

Zwei Meter zwischen Leben und Tod

Trotz Whiteout und Sturm sei er anfangs gut vorangekommen, auch, weil er ein Zugsegel habe einsetzen können, teilte sein Schweizer Freund und Geschäftspartner Hans Ambühl mit. In den ersten drei Tagen habe Thomy 80 Kilometer geschafft. Er habe dabei allerdings auch mehrere kritische Situationen überstehen müssen. So habe sich in einer Nacht nur zwei Meter von seinem Zelt entfernt plötzlich eine große Wasserrinne geöffnet. Zwei Meter zwischen Leben und (höchstwahrscheinlich) Tod. Thomy sei bewusst geworden, dass er im Gegensatz zu früheren Expeditionen nicht mehr bereit sei, „ein unlimitiertes Risiko“ einzugehen. „Aus dieser inneren Veränderung folgte auch, dass die erlebte Freude und Befriedigung für Thomas die unvermeidliche physische und psychische Qual nicht mehr aufwiegt“, schreibt Hans. Es erfordere eine große Portion Mut und „Klarsicht“, sich so zu entscheiden

Sein Traum: Solo durch die Arktis

Thomy will über die Eisstation Barneo in die Schweiz zurückkehren. Ursprünglich hatte er die Solo-Expedition als Testlauf für ein noch größeres Projekt 2016 angesehen: die Durchquerung der gesamten Arktis von Russland über den Nordpol nach Kanada. Ob er diesen großen Traum nach den Erfahrungen der vergangenen Woche nun ad acta legt? 2006 war ein erster Versuch schon kurz nach dem Start vom russischen Festland gescheitert. Ulrich war damals mit einem Hubschrauber von einer Eisscholle gerettet worden. „Scheitern ist möglich. Ich will es nicht“, schreibt Thomy über sein „Transarctic Solo 2016“. „Dennoch muss es einen Plan geben, was im schlimmsten aller möglichen Szenarien zu tun ist, einen Notfall- und Rettungsplan, für mich, für mein Team zuhause, für Rettungskräfte, für meine Familie. Verantwortung bedeutet, sich auch mit Szenarien zu beschäftigen, von denen man nicht will, dass sie real werden.“ Dass er verantwortungsbewusst Entscheidungen treffen kann, hat Thomas Ulrich nun schon ein Jahr vorher bewiesen.

Datum

21. April 2015 | 20:15

Teilen