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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Venables‘ unerfüllbarer Everest-Wunsch

Venables auf Süd-Georgien in der Antarktis

Stephen Venables kann in diesem Mai gleich zweimal Everest-Jubiläum feiern. Den 60. Geburtstag der Erstbesteigung und seinen ganz persönlichen Jahrestag. Am 12. Mai vor 25 Jahren bestieg Venables als erster Brite ohne Flaschensauerstoff den höchsten Berg der Erde. Ein Meilenstein. „Ich hatte 1988 das Glück, an einem neuen Kapitel der Berggeschichte mitzuschreiben, als ich mit Robert Anderson, Paul Teare und Ed Webster eine neue Route durch die Kangshung-Wand kletterte“, schreibt mir Stephen, nachdem ich ihn um seine Gedanken zum 60. Jahrestag der Everest-Erstbesteigung gebeten habe. „Dank dieser ausgezeichneten Kletterer aus den USA und Kanada und einem großartigen Unterstützer-Team im Basislager genoss ich am Everest einige der schönsten Tage meines Lebens.“ Doch Stephens Leben hing damals am seidenen Faden. 

Meist verwaist 

Nicht umsonst ist die tibetische Ostwand des Mount Everest meist verwaist. Über 3000 Meter ragt sie steil auf, stark vergletschert, mit tiefen Spalten durchzogen, häufig donnern Lawinen  in die Tiefe. Als der legendäre britische Bergsteiger George Mallory 1921 auf der Suche nach einer Route zum Gipfel auch die Kangshung-Flanke inspizierte, erklärte er die Wand für unmöglich zu erklettern. 1983 straften ihn die US-Bergsteiger Carlos Buhler, Kim Momb und Louis Reichardt Lügen, als sie die Kangshung-Wand erstmals meisterten. Sie benutzten dabei Flaschensauerstoff. 

Am Limit und darüber hinaus 

Paul Teare (unten) in der Kangshung-Wand

Fünf Jahre später erschlossen Stephen Venables, der Kanadier Paul Teare und die beiden US-Amerikaner Robert Anderson und Ed Webster ohne Atemmaske eine neue, äußerst anspruchsvolle Route durch die Wand. Sie endete auf der Normalroute am Südsattel. Teare verzichtete anschließend auf einen Gipfelversuch, weil er Symptome eines Hirnödems zeigte. Webster kehrte kurz vor dem, Anderson am 8690 Meter hohen Südgipfel um. Lediglich Venables erreichte den höchsten Punkt auf 8850 Metern. Beim Abstieg verließen auch ihn die Kräfte, er halluzinierte. „Ich war an meinem absoluten physiologischen Limit“, sagte Stephen später in einem Interview. „Der ganze Tag war ein einziges Überschreiten von Grenzen.“ Er überlebte unterhalb des Südgipfels eine Biwaknacht im Freien. Doch die Odyssee war damit noch nicht vorüber. Dreieinhalb Tage dauerte der Abstieg des Trios durch die Kangshung-Wand, bei hüfttiefem Schnee, Whiteout, ohne Lebensmittel. „Es war das Abenteuer unseres Lebens“, bilanzierte Ed Webster

Beide Beine gebrochen 

Stephen bezahlte es mit drei erfrorenen Zehen, die ihm später amputiert werden mussten. 34 Jahre alt war er damals, die Expedition zur Kangchung-Wand war bereits seine zehnte im Himalaya. 1991 eröffnete Venables mit zwei Landsleuten im Everest-Gebiet eine neue Route auf den Sechstausender Kusum Kanguru. Ein Jahr später gehörte er zu den Erstbesteigern des 6437 Meter hohen Panch Chuli V im indischen Teil des Himalaya. Beim Abstieg stürzte Stephen 80 Meter tief ab und brach sich beide Beine. Es hätte noch schlimmer enden können – für Venables das Signal, mit den extremen Himalaya-Expeditionen aufzuhören. Noch immer geht der 58-Jährige zum Bergsteigen. In den vergangenen Jahren war Stephen häufig in der Antarktis unterwegs, vor allem auf der Insel Süd-Georgien.

Abenteuerliche Ungewissheit 

Stephen Venables

Auch wenn es unfair ist, ein Leben auf eine zweimonatige Expedition zum höchsten Berg der Erde zu reduzieren – Venables Überlebensgeschichte am Mount Everest wird unvergessen bleiben. „Es wäre wunderbar, wenn der Everest wieder ein Ort würde, an dem Kletterer die Grenzen menschlicher Anstrengung hinausschieben“, antwortet Stephen auf die Frage nach seinen Wünschen für den Everest,„in einer Atmosphäre stiller Einkehr: nur drei oder vier Expeditionen pro Jahr, bei denen die Bergsteiger ohne zusätzlichen Sauerstoff klettern und die abenteuerliche Ungewissheit genießen.“ Ihm sei jedoch klar, dass dieser Wunsch unrealistisch sei, „weil er sich nicht mit den kommerziellen Geboten verträgt.“ 

P.S. Stephens vollständige Äußerungen findet ihr auf den beiden Everest-60-Pinnwänden auf der rechten Seite des Blogs.

Datum

27. April 2013 | 21:36

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