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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Kleiner Mann ganz groß

Napoleon tritt aus einem Plumpsklo – darunter der Spruch: „Auch kleine Leute können Großes vollbringen.“ Diese Karikatur gehörte früher zu meinen liebsten. Schließlich messe auch ich nur 1,72 Meter und damit schlappe sechs Zentimeter mehr als einst Bonaparte. Auf dessen Totenschein war angeblich als Körpergröße 1,66 Meter vermerkt.


Luis Stitzinger, Höhenbergsteiger und Extremskifahrer

Sehr häufig muss ich also, anatomisch gesehen, zu anderen aufblicken. Nicht so bei Luis Stitzinger, den ich vor einigen Tagen auf der „Globewelt“ in Köln traf. Der Bergsteiger aus Höhenkirchen bei München ist sogar kleiner als ich gewachsen. In den Bergen aber hat der 41-Jährige – im Gegensatz zu mir – schon Großes vollbracht: Mit dem Cho Oyu (im Jahr 2000), dem Gasherbrum II (2006), dem Nanga Parbat (2008) und dem Dhaulagiri (2009) hat Luis vier Achttausender bestiegen, allesamt ohne Atemmaske. Zweimal gelangen ihm dabei spektakuläre Skiabfahrten (Gasherbrum II vom Gipfel aus, Nanga Parbat über die zentrale Diamirflanke).

Adrenalin, Konzentration, Ungeduld

„Ich erlebe mich dabei sehr intensiv“, sagt Luis. „Weil es mit Gefahr verbunden ist, bin ich ordentlich adrenalingeladen und sehr konzentriert auf das, was ich tue.“ Am Berg überrasche er sich manchmal selbst: „Ich bin eigentlich jemand, der sehr besonnen und wenig hitzköpfig ist. Aber in diesen Situationen kann ich auch sehr ungeduldig sein. Dann möchte ich die Sache beschleunigen.“ Kein Wunder, dass Stitzinger auch mit Speed-Begehungen für Schlagzeilen sorgte, etwa 2006 am Gasherbrum II.


Alix (r.) und Luis am Gipfel des Dhaulagiri

Geteilte Passion, geteilte Angst

Seit zwölf Jahren steigt Luis – nicht immer, aber meist – gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Alix von Melle auf die Berge. Alix stand am 2. Oktober (ohne Luis) auf dem Gipfel des Cho Oyu und ist jetzt mit vier bestiegenen Achttausendern die erfolgreichste deutsche Höhenbergsteigerin. „Einerseits ist es sehr schön, wenn man in einer Partnerschaft gemeinsam seine Passion, das Bergsteigen, teilen kann“, sagt Luis. „Andererseits hat man in gefährlichen Situationen natürlich auch Angst um den Partner und wird dadurch ein Stück weit abgelenkt.“
Doch Luis möchte die gemeinsamen Bergabenteuer mit Alix nicht missen. Beide sorgten gegenseitig dafür, dass sie sich nicht übernähmen, erzählt Luis: „In der Höhe denkt man nicht mehr so klar. Dann sieht der andere einen unter Umständen viel objektiver und weiß früher: Bei dir ist jetzt eigentlich Schluss. Wenn der Partner das sagt, akzeptiert man das. Das erweitert den eigenen Horizont.“

Ihr zuliebe, aus Sorge um ihn

Bei ihrem letzten gemeinsamen Achttausender-Projekt, in diesem Frühjahr am Makalu, erreichten weder Luis noch Alix den höchsten Punkt. Am geplanten Gipfeltag kehrte zunächst Luis um, weil er seine Zehen nicht mehr spürte. „Ich hätte eigentlich schon zwei Stunden vorher sagen können: Es ist heute einfach zu kalt, nicht mein Tag. Aber ich bin weitergegangen, weil ich es versuchen, also \’beißen\‘ wollte – und auch Alix zuliebe, um sie zu begleiten.“ Irgendwann siegte die Vernunft. Luis stieg ab, überredete aber seine Partnerin weiterzusteigen. „Sie war stark drauf an diesem Tag. Ich wusste, sie kann es schaffen.“ Doch die 39-Jährige kehrte auf gut 8000 Metern ebenfalls um – auch, sagt Luis, aus „Sorge um mich“.


Die Kamelbuckel des Broad Peak

Nächste Ausfahrt Broad Peak

Luis verdient sein Geld als Produktmanager, Alix als PR-Agentin. Man könne sie beide durchaus als Halbprofis bezeichnen, sagt Luis. Der Druck von außen sei aber begrenzt, „weil uns die Sponsoren und Partner nicht nötigen, jedes Jahr sehr erfolgreich sein zu müssen“. 2011 will Luis mit Alix wieder gemeinsam auf Expedition gehen: zum Achttausender Broad Peak in Pakistan, um dort Großes zu vollbringen.

Interview mit Höhenbergsteiger Luis Stitzinger

Datum

22. Oktober 2010 | 7:53

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