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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Die Amsel, die sich putzt statt zu fliehen

Ralf hat jetzt mehr Zeit

Ralf Dujmovits hat sein Leben nach einem halben Jahrhundert neu geordnet. Kurz nach seinem 50. Geburtstag trennte sich der erfolgreichste deutsche Höhenbergsteiger nach über zwei Jahrzehnten von seiner Expeditions- und Trekkingagentur Amical alpin. Die Übergabe an Bergführer Dominik Müller aus dem Kleinwalsertal war von langer Hand geplant. Doch als Dominik mit einem vollgepackten LKW in Bühl wegfuhr, „da war es mir schon ein wenig weh ums Herz“, gesteht Ralf. Inzwischen aber freut sich der Bergsteiger aus dem Schwarzwald über seine neu gewonnene Freiheit.

Neuer Versuch am Everest?

Fotografieren, filmen, Bücher schreiben will Ralf in der nächsten Zeit – und natürlich weiter mit seiner Frau Gerlinde Kaltenbrunner auf Expedition gehen. Am 1. April, kein Scherz, starten die beiden Richtung Nepal. Im Gebiet um den Mount Everest wollen sie den schwierigen Nordostgrat des 7861 Meter hohen Nuptse erstbegehen. Vielleicht ist anschließend sogar noch ein besonderes Schmankerl fällig: „Wenn es die Kraft zulässt und ich mich gut fühle, würde ich schon gerne noch einmal einen Versuch am Everest machen.“ 1992 hatte Ralf den höchsten Berg der Erde bestiegen, dabei allerdings auf dem letzten Stück zum Gipfel zur Sauerstoff-Flasche gegriffen. Das empfindet er heute als Makel. Schließlich schaffte er die anderen 13 Achttausender ohne Atemmaske. „Als Profi sollte man die höchsten Berge ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen haben“, findet Ralf.

Lauter Ruf des inneren Schweinehunds

Achttausender werden einem nicht geschenkt

Auch an ihm sind die Jahre nicht spurlos vorüber gegangen. Die Regeneration dauere länger und er gehe auch nicht mehr so bereitwillig trainieren wie früher, räumt der 50-Jährige ein. „Ich spüre, dass der Ruf meines inneren Schweinehunds kräftiger geworden ist.“ Da passt es Ralf gut, dass er sich nun nicht mehr jede Minute für das Training zusammenklauben muss, sondern freier über seine Zeit verfügen kann. Ich frage ihn (unser Gespräch könnt ihr unter dem Artikel nachhören), ob er inzwischen nicht eher als Gerlindes Ehemann wahrgenommen wird denn als erfolgreicher Bergsteiger. „Das passt schon. Ich habe kein Problem damit“, antwortet Ralf. „Eigentlich bin ich ganz froh, dass ich nicht mehr so im Rampenlicht stehen muss wie derzeit Gerlinde, weil das auch ganz schön anstrengend ist.“ 

„Brutal Sorgen gemacht“

Alles gut gegangen

Als seine Frau im vergangenen August mit dem K 2 ihren letzten der 14 Achttausender bestieg, wartete Ralf im Basislager auf sie. Weil ihm die Lawinengefahr zu hoch erschien, war er umgekehrt. Gerlinde schätzte die Situation anders ein und stieg weiter auf. „Eine sehr schwierige emotionale Entscheidung“ sei das für beide gewesen, sagt Ralf. Eigentlich habe er erwartet, dass auch Gerlinde wenig später absteigen würde. Als dies nicht geschah, habe er „zum ersten Mal richtig verstanden, was es heißt, sich um einen Menschen ganz brutal Sorgen zu machen“. Ralf stürzte sich in die Arbeit, schrieb Berichte für den Expeditions-Blog, versorgte Gerlinde und ihre Mitstreiter per Funk mit Wetterinformationen und gab ihnen Tipps zur Aufstiegsroute. So gelang es Ralf, mit der Sorge um seine Frau fertig zu werden: „Ich war wie eine Amsel, die auf ihren Eiern sitzt. Da taucht plötzlich eine Katze auf. Und anstatt zu fliehen, beginnt die Amsel, sich zu putzen.“

Interview mit Ralf Dujmovits, Deutschlands erfolgreichstem Höhenbergsteiger

Datum

16. Februar 2012 | 1:25

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